Ich hatte die Ehre, mit Emmy Schörg mehrere Saisonen gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Ich war ihr Knecht, ihr Bauer, der Lehrer zu dem sie aufgeschaut hat, der Dodl, den sie herum kommandiert hat, ich war der Simmerl und Blasi und wie sie alle heißen, deren Himmelsschlüssel sie unbedingt haben wollte, ich war ihr Liebhaber und sie war immer, in jeder Rolle, meine Lehrmeisterin.
Stegreif ist nicht leicht, im Gegenteil, Stegreif ist eine zu tiefst unterschätzte Kunst und sie hat mit Emmy Schörg ihre letzte Doyenne verloren. - Ich aber war in meinen Anfängen Angsthase und Versagender. Aber Emmy hat mich immer gut ausschauen lassen. Emmy hat die Szenen geführt, sie hat das Tempo bestimmt, Emmy hat die Bühne ausgefüllt - wenn sie aber gesehen hat, dass ich auch nur Luft hole, war sie still, damit ich zu Wort komme. Sie hat mich aufmunternd angeschaut und wenn ich dann etwas gestammelt habe, hat Emmy daraus eine Pointe gemacht und das Publikum hat gelacht und applaudiert. Sie hat mich gut dastehen lassen.
Emmy war eine der respektvollsten Kolleginnen, mit denen ich je auf einer Bühne stehen durfte. Ihr großes Talent, ihre Kunst und ihr Können, - das haben auch andere bemerkt. In früheren Jahren saßen immer wieder bekannte Pesönlichkeiten im Publikum der Tschauner Bühne, Karin und Klaus Maria Brandauer etwa, André Heller oder auch Maximilian Schell. Besagter Maximilian Schell hat zu Emmy seinerzeit gesagt: „Das ist fantastisch. Ich könnte das nie!“ - und wer will ihm da widersprechen?
Das was Emmy in meinen Augen am meisten ausgemacht, das ist die Liebe.
Da wäre einmal die Liebe zum Beruf.
Ob als Leiterin einer Märchenbühne, als Operettensuobrette, als Filmschauspielerin oder als die Grand Dame des Stegreif ... - Diese bedingungslose Liebe und Leidenschaft, mit der sie aufgetreten ist, ist heute schwer zu finden. Unprätentiös, aber immer mit 100 Prozent – so habe ich Emmy kennen lernen dürfen. Diszipliniert aufs Äußerste – sie hat in über 50 Jahren keine einzige Saison versäumt obwohl sie nicht immer so gesund und fit war, wie sie gewirkt haben mag. Mit einer unbeschreiblichen Eleganz ist Emmy durchs Leben geschritten, privat aber auch auf der Bühne. Sie hat es geschafft – und ich weiß bis heute nicht, wie sie das gemacht hat - als tumbe Magd, mit blonden Zöpfen und übergroßen aufgemalten Sommersprossen, einen S-Fehler vorgebend und Augen rollend trotzdem ihre Eleganz nicht zu verlieren. Aber - so laut und wirbelnd sie auf der Bühne war, so leise und bescheiden war sie im Privatleben. Auf ihrem kleinen Balkon in ihrer kleinen Wohnung hab ich Guglhupf essen dürfen, mit dieser kleinen GROSSEN Frau! Stundenlang konnte sie erzählen von ihren vielen Begegnungen mit großen Stars, von ihren unzähligen Auftritten und ihren Erlebnissen dabei. Und nie, nie ist es langweilig geworden. Egal, was sie erzählt hat – und es waren ja nicht immer nur schöne Begegnungen – nie hat sie dabei eines verleugnen können: Die Liebe, die Liebe zu ihrem Beruf, - aber auch ...
...die Liebe zu den Kolleginnen und Kollegen.
Emmy hat sehr genau zugehört auf der Bühne. Sie ist auf alles eingegangen. Sie hat Szenen gerettet, nicht gerade selten ganze Abende. Sie hat ihre ganze Energie aufgewendet und ist über die Bühne gewirbelt, so dass sich manch einer vermutlich gefragt hat: „Hams die mitm Erbsensackl g‘straft?“
Dass sie eine wunderbare Kollegin war, das würde bestimmt auch Marika Rökk bestätigen (über 100 Vorstellungen gemeinsam am Theater an der Wien, „Hello Dolly“), oder Juppi Heesters und Heinz Conrads oder Fritz Eckhardt. Nie werde ich vergessen, wie sie erzählt hat, dass man ihr einmal bei einer Galavorstellung im Raimundtheater – Emmy war mit ihrem Auftritt gerade fertig - einen wunderschönen, riesigen Blumenstrauss überreicht hat, den sie in Empfang genommen hat, mit ihrem unvergleichlichen: „Jössas!“ Und als sie damit in die Garderobe schweben wollte, glücklich und zufrieden weil ihr Auftritt gut gelaufen ist, hat man ihr plötzlich den Strauss wieder aus den Händen gerissen. Man hatte vergessen, für Herrn Heesters auch Blumen zu besorgen. „Naja“, hat sie gesagt, „der Heesters war halt wichtiger als ich.“ Und nicht ohne Stolz hat sie hinzugefügt: „So hat der Heesters MEINE Blumen bekommen.“ War sie gekränkt? Ja, ein bisschen. Aber konnte sie darüber lachen – natürlich. Und wie. Darin war sie so wie so Meisterin. Die Königin des Lachens. Emmy hat eine Lebensfreude versprüht, die ansteckend war. Ja, man kann auch im Guten angesteckt werden. Und, sie hat geliebt, ihren Beruf und ihre Kolleginnen und Kollegen.
Und dann war da noch - und ich weiß nicht, ob ihr selbst das nicht sogar das Wichtigste war, - da war noch diese unendliche
Liebe zu ihrem Publikum.
Wenn sich Emmy während einer Vorstellung augenzwinkernd zum Publikum gedreht hat und mit den Worten: „Ihr brauchts gar net so deppert lachen!“ - dann waren sie spürbar, diese gegenseitige Liebe, der gegenseitige Respekt, diese unendliche Zuneigung von Emmy ihrem Publikum gegenüber, aber auch die Liebe, die aus dem Zuschauerraum hinauf zu Emmy floss.
- - Als ich sie einmal gefragt habe, ob sie auf der Straße erkannt wird, hat sie ein verlegenes Gesicht gemacht und dann genickt. „Einmal“, hat sie gesagt, „einmal bin ich in die Straßenbahn eingestiegen und der ganze Wagon hat applaudiert“.
Und weißt du was, Emmy, vollkommen zu recht. – Niemandem gebührt Applaus mehr als dir.
Das, liebe Emmy, ist noch einmal ein großer Applaus nur für dich.
Emmy, wir lieben dich!
Machs gut Emmy, wir sehen uns.
- Gerold Rudle
Emmy Schörg, Doyenne des Stegreifspiels der Tschauner Bühne, gestorben!
Ihr Alter war lange ein gut gehütetes Geheimnis. Im März 2020 wurde sie anlässlich ihres 90. Geburtstages geehrt. Sie aber sagte: „Ich habe kein Alter, ich bin zeitlos!“
Emmy Schörg wurde in Wien-Hernals als Tochter eines Chauffeurs und einer Postangestellten geboren. Seit sie 3 Jahre alt war, wollte sie auf die Bühne. Das Vortragen von Gedichten brachte Zuckerln und ein paar Schillinge Taschengeld. Der Applaus war aber ihre echte Belohnung – und dieser sollte ihr das ganze Leben treu bleiben.
Der große Traum Balletttänzerin zu werden konnte nicht erfüllt werden. Nach langem Bitten wurde aber eine Operettenausbildung am Wiener Horak-Konservatorium ermöglicht. Schon während des Studiums spielte Schörg verschiedene Rollen, wurde vom Konservatorium verwiesen, weil es Studierenden verboten war Engagements anzunehmen und beendete ihre Ausbildung mittels Privatunterricht, den sie mit ihren Gagen finanzieren konnte.
Es folgte ein langes Theaterleben mit Auftritten an zahlreichen Wiener Schauspielhäusern, im Stadttheater St. Pölten, Erfolge als Operetten- und Wienerlied-Sängerin, im Ottakringer Marionettentheater und als Leiterin ihrer eigenen Märchenbühne, die sie über 10 Jahre mit ihrem Mann Karl Groschner und ihrer Tochter Sonja, die später mit nur 27 Jahren bei einem Autounfall starb, führte.
Zur Tschauner Bühne und zum Stegreifspiel kam Emmy Schörg als Einspringerin. Beim „Rumpelstilzchen“ war die Müllerstochter zu besetzen, eine Rolle, die Emmy studiert hatte und nun – unwissentlich – ohne fixen Text aus dem Stegreif spielen sollte. In der Pause wollte sie sich davonschleichen, wurde aber von einer Kollegin erwischt und zum bleiben überredet. „Nie wieder Stegreif!“ war daraufhin die Ansage, die sie fünf Jahre lang eisern einhielt.
Doch das ewige Warten beim Film und der dort fehlende Applaus machten sie nicht glücklich. Alle bescheinigten ihr für das komische Fach geboren zu sein und so kehrte sie auf die Stegreifbühnen Wiens zurück: Alle haben sich um Emmy Schörg gerissen!
Auf der Tschauner Bühne war Emmy Schörg über fünf Jahrzehnte lang zu Hause. Sommer für Sommer begeisterte sie ihr Publikum und wurde Abend für Abend mit Auftrittsapplaus belohnt.
Am 12. Juni 2020 ist Emmy Schörg in Wien gestorben.
Das klassische Stegreifspiel am Leben zu halten, war immer ihr Wunsch und Ziel. Die Tschauner Bühne wird diese Tradition auch in Zukunft weiterführen – stets im Gedenken an Emmy Schörg, der Grande Dame dieser alten Schauspielkunst.